Weiss, A. (2024).
Neuartige Auslegungsverfahren zur Reduzierung der Werkzeugbelastung beim zweistufigen Praegen (I. f. U. Universitaet Stuttgart, Ed.).
http://dx.doi.org/10.18419/opus-15336
Zusammenfassung
Der stetige technologische Fortschritt und die fertigungstechnologischen Innovationen in der Produktion spielen eine Schlüsselrolle, die Effizienz etablierter Technologien in Hochlohnländern radikal zu steigern, um mit Unternehmungen einen Vorteil im agilen globalen Wettbewerb zu erlangen 1. Umformtechnische Fabrikationsmethoden bieten hierzu eine etablierte, kosteneffiziente und ressourcenschonende Produktionstechnologie, um performante Komponenten in hoher Stückzahl herzustellen 2,3. Gegenwärtig stellt die begrenzte Gestaltungsmöglichkeit der herzustellenden Geometrie einen bedeutenden und stark limitierenden Faktor für den Einsatz umformtechnischer Produktionsmethoden dar. Exemplarisch können Stirnpassverzahnungen nach aktuellem Stand der Technik umformtechnisch nicht vollständig ausgeformt werden, wodurch eine zerspanende Bearbeitung für eine Vielzahl von Komponenten bislang unumgänglich ist. Das Ziel der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit besteht darin, die bekannten Verfahrensgrenzen der umformtechnischen Herstellung von schwierig auszuformenden Formelementen bedeutend zu erweitern, um die technologischen, wirtschaftlichen und verfahrensspezifischen Vorteile für ein breites Bauteilspektrum zu erschließen. Stirnpassverzahnungen werden zumeist als Kupplungselemente zur Kraft- und Drehmomentübertragung verwendet, wobei die Leistungsfähigkeit dieser Maschinenelemente direkt von der Bauart des Kupplungssystems und der Fertigungsqualität der ineinandergreifenden Kupplungskomponenten abhängt. Aufgrund stetig steigender Anforderungen an die Leistungsfähigkeit von Kupplungselementen wird es in Zukunft nur mit erheblichem Fertigungsaufwand möglich sein, die geforderten Verzahnungsgeometrien mit den bekannten Methoden herzustellen. Damit die wirtschaftliche umformtechnische Herstellung auch zukünftig für Hochleistungskupplungselemente verwendet werden kann, müssen neue Methoden und Verfahren erforscht werden, um die Formfüllung von Verzahnungsgeometrien maßgeblich zu verbessern. Nach aktuellem Stand der Technik werden Stirnpassverzahnungen überwiegend mit einem Prägeverfahren umformtechnisch hergestellt. Charakteristisches Merkmal von Prägeprozessen ist die große Kontaktzone zwischen Werkstück und Werkzeug am Ende des Umformprozesses. Der Werkstoff wird im Prägeprozess von solchen Pressteilen ausschließlich im Bereich der Formelemente plastisch umgeformt. Dabei entstehen große Kontaktzonen ohne Werkstoffrelativbewegung, welche hohe Prozesskräfte und Werkzeugbelastungen am Ende des Prägeprozesses verursachen. Aufgrund der hohen Werkzeugbelastungen am Ende des Prägeprozesses werden die Verzahnungsspitzen in der Praxis nicht vollständig ausgeformt. Um die Formgebung in Prägeprozessen zu verbessern, wurden jedoch bereits diverse Untersuchungen zur Erweiterung der Verfahrensgrenzen von Prägeprozessen durchgeführt. Zumeist wird hierzu eine Vorform zur gezielten Materialvorverteilung vor der Prägestufe in das Werkstück eingeformt. Die aus dem Stand der Technik bekannten Vorformen für Prägeprozesse werden ohne Berücksichtigung der herzustellenden Verzahnung oder Prägegeometrie gestaltet, wobei eine umlaufende Fase am Rohteil die meist genutzte Vorform darstellt. Eine Vorform dieser Bauart bewirkt eine Reduktion des überproportionalen Kraftanstieg am Prozessende, wodurch der Füllgrad der Verzahnungen nur geringfügig gesteigert werden kann. Für die Entwicklungen einer kraftreduzierenden Werkstoffvorverteilung für Prägeprozesse wird aktuell die herzustellende Geometrie für die Konstruktion der Vorform nicht berücksichtigt. Somit kann der Werkstofffluss nicht gezielt in die herzustellende Geometrie geleitet werden, wodurch das volle Potenzial der Werkstück-Werkzeugkontaktreduktion derzeit nicht ausgeschöpft wird. Eine an die Formelemente angepasste Materialvorverteilung bietet das Potenzial, die WerkstückWerkzeugkontaktreduktion bedeutend zu verbessern und damit die Prozesskräfte signifikant zu reduzieren. Diese allgemeine Forschungshypothese wird in der vorliegenden Arbeit dazu verwendet, eine Stirnverzahnungsgeometrie herzustellen, wobei untersucht wird, wie die Materialvorverteilung an die zu fertigende Verzahnung angepasst werden kann, um den Werkstofffluss in der nachfolgenden Prä- gestufe zu begünstigen. Hierzu wird eine konkretisierte Forschungshypothese aufgestellt: Wird der Werkstück-Stempelkontakt in schwierig auszuformenden Zonen (Zahnspitze) vor dem Kontakt in einfach auszuformenden Zonen (Zahnfuß) erzeugt, kann eine hohe Formfüllung mit geringen Prozesskräften erreicht werden. Basierend auf dieser konkretisierten Forschungshypothese werden in dieser Arbeit zwei Verfahren zur Materialvorverteilung entwickelt: das Free-Divided-Flow- (FDF) und das Pin-to-Gear- (PtG) Verfahren. Im FDF-Verfahren wird das Material einseitig neben der Verzahnung vorverteilt. Hierdurch wird zunächst der Bereich, in welchem das Material vorverteilt wurde, nachfolgend die Verzahnung und abschließend der zweite Bereich neben der Verzahnung ausgeformt. Im PtG-Verfahren wird das Material im Bereich der Verzahnung in einer simplifizierten Geometrie vorverteilt, wodurch zunächst die Verzahnung ausgeformt wird und erst darauffolgend alle angrenzenden Bereiche. Mit beiden Verfahren können die auftretenden Prozesskräfte, im Verhältnis zur konventionellen Formgebung, signifikant reduziert werden. Unter Berücksichtigung einer umformtechnischen Vorformherstellung können die Einsatzgebiete beider vorgestellten Verfahren dargestellt werden: Das FDF-Verfahren eignet sich für die Herstellung von Werkstücken mit großen Abständen zwischen den Einzelzähnen während sich das PtG-Verfahren zur Formgebung von Verzahnungsgeometrien mit hohem Aspektverhältnis eignet. Zur Validierung der Forschungshypothese und zur Analyse der entworfenen Verfahren wird zunächst ein Materialmodell erstellt, um darauf basierend die mehrstufigen FEM-Simulationen der numerischen Verfahrensuntersuchung aufzubauen. Ziel der numerischen Untersuchung ist die Entwicklung einer parametrisierten Vorformgeometrie für beide Verfahren, welche in Abhängigkeit der herzustellenden Verzahnung und ohne weiterführende numerische Simulationen definiert werden kann. Hierzu werden statistische Versuchspläne, Sensitivitätsanalysen, Optimierungsfunktionen und Methoden der Data Analytics angewendet. Zur experimentellen Validierung wird ein Versuchswerkzeug für fünf unterschiedliche Verzahnungen konstruiert und gefertigt (vier Sperrverzahnungen und eine Hirth-Verzahnung). Schwerpunkte der experimentellen Untersuchung stellen die Formfüllungsanalyse, die Maßabweichungsanalyse, die Presskraftanalyse, die Oberflächenrauheitsanalyse, die metallurgische Gefügeanalyse sowie die Analyse der Härteverteilung der Verzahnungsgeometrien dar. In der experimentellen Untersuchung wird im hinteren Teil der Arbeit gezeigt, dass alle Verzahnungsgeometrien beider Verfahren vollständig und ohne Umformfehler ausgeformt werden können. Dabei werden die Verzahnungen sowohl aus dem Einsatzstahl 16MnCrS5 als auch aus dem unlegierten Baustahl C4C mit unterschiedlichen Schmierstoffsystemen im identischen Umformwerkzeug umgeformt. Zur zukünftigen und vereinfachten Verfahrensanwendung werden Konstruktionsrichtlinien verfasst sowie die ermittelten Verfahrensgrenzen des FDF- und des PtG-Verfahrens erläutert. Im Rahmen dieser wissenschaftlichen Arbeit wird mittels unterschiedlicher Verzahnungsgeometrien dargestellt, dass die Prozesskräfte deutlich reduziert und der Formfüllungsgrad bedeutend gesteigert werden können, wenn der Werkstück-Stempelkontakt in der Zahnspitze vor dem Kontakt mit dem Zahnfuß erfolgt. Somit kann die aufgestellte Forschungshypothese am Ende dieser Arbeit mittels numerischer und experimenteller Verfahrensuntersuchungen vollumfänglich validiert werden. Die entwickelten Verfahren erweitern die Verfahrensgrenzen von konventionellen Prägeprozessen signifikant, wodurch zukünftig eine Vielfalt bislang zerspanend hergestellter Verzahnungsgeometrien umformtechnisch und in hoher Qualität gefertigt werden können. Die daraus resultierenden Steigerungen der Produktgestaltungsmöglichkeiten haben überdies eine direkte Auswirkung auf unterschiedliche Fertigungsbereiche entlang der gesamten Prozesskette. Hierdurch werden sowohl die lokal umformenden Fertigungsbetriebe im internationalen Wettbewerb gestärkt als auch ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen zur Standortsicherung erwirtschaftet.Zusammenfassung
Das Scherschneiden zählt zu den wirtschaftlich bedeutenden Fertigungsverfahren in der blechbearbeitenden Industrie. Grund dafür ist, dass nahezu jedes Blechbauteil im Laufe seiner Fertigungskette beschnitten und/oder gelocht wird. Im Zuge der stetig ansteigenden Anforderungen an die Qualität von Blechbauteilen müssen die beim Scherschneiden entstehenden Bauteilkanten heute vermehrt Qualitätsanforderungen wie denjenigen von Bauteilfunktionsflächen entsprechen. In der industriellen Praxis sind derartig hohe Qualitäten von Schnittkanten bzw. –flächen durch einen geringen Kanteneinzug, einen hohen Glattschnittanteil sowie geringe Bruchflächen- und Grathö- hen gekennzeichnet. Darüber hinaus ist neben der möglichst hohen Schnittflächenqualität bei der Herstellung von schergeschnittenen Bauteilen auch die Produktivität des verwendeten Verfahrens von entscheidender Bedeutung. Diese Produktivität ist insbesondere durch hohe Ausbringungsmengen, geringe Werkzeugkosten und niedrige Werkzeuginstandhaltungskosten gekennzeichnet. In diesem Zusammenhang zählt das konventionelle Scherschneiden bzw. das Lochen mit einfachwirkenden Pressen zu den produktivsten Schneidverfahren. Nachteilig ist dabei jedoch, dass mit dem konventionellen Scherschneiden nur Schnittkanten mit vergleichsweise groben Toleranzen und maximalen Glattschnittanteilen von bis zu 50 % der Blechdicke erzielt werden können. Sind höhere Bauteilkantenqualitäten erforderlich, so werden bislang Präzisionsschneidverfahren wie Feinschneiden, Genauschneiden oder Nachschneiden eingesetzt. Verglichen mit dem Normalschneiden führt die höhere Werkzeug- und Prozesskomplexität der genannten Präzisionsschneidverfahren jedoch zu deutlich geringeren Ausbringungsmengen und damit zu höheren Bauteilkosten. Vor dem Hintergrund dieser Problemstellungen wurde das Verfahrensprinzip des Hohlschneidens in den vergangenen Jahren am Institut für Umformtechnik (IFU) entwickelt. Das Hohlschneiden stellt ein Sonderschneidverfahren dar, welches sich infolge geometrisch angepasster Lochstempelgeometrien signifikant von Normalschneidprozessen unterscheidet. In Abgrenzung zu konventionell plan geschliffenen Lochstempeln wird die Stempelgeometrie beim Hohlschneiden durch eine stirnseitig angebrachte „Stegbreite“ entlang der Schneidkante des Stempels sowie durch einen sogenannten „Stegwinkel“ definiert. Diese geometrische Anpassung von Lochstempeln bewirkt eine Druckspannungsinduktion in der Scherzone, wodurch die Rissentstehung innerhalb der Scherzone unterdrückt und schließlich eine Glattschnittsteigerung gegenüber dem Normalschneiden erzielt werden kann. Die Motivation des Hohlschneidens besteht demnach darin, Schnittflächen von hoher Qualität zu erzeugen, ohne dass hierfür technologisch aufwendige Werkzeugkonstruktionen wie bei den Sonderschneidverfahren des Fein-, oder Nachschneidens benötigt werden. Das theoretisch hohe wirtschaftliche Anwendungspotential dieses Verfahrens lässt sich dadurch begründen, dass die Steigerung von Schnittflächenqualitäten in bereits bestehenden konventionellen Scherschneidwerkzeugen allein durch den Austausch von Normalschneidstempeln durch Hohlschneidstempel erreicht werden kann. Die der Arbeit zugrundeliegende wissenschaftliche Problemstellung hinsichtlich des Verfahrensprinzips des Hohlschneidens besteht darin, dass Wissensdefizite bezüglich des Zusammenhangs zwischen einzelnen Werkzeugparametern (Stegbreite, Stegwinkel, Schnittlinienführung, Schneidspalt, etc.) sowie Qualitätskenngrößen an den gescherten Blechbauteilrändern vorlagen. Aufgrund mangelnder veröffentlichter Untersuchungsergebnisse existierten bis heute keine mit dem Normalschneiden vergleichbaren Normen, Richtlinien oder Datensätze, die eine entsprechende Werkzeug- bzw. Verfahrensauslegung unterstützen. Als problematisch erwies sich hierbei, dass neben den Parametern des Normalschneidens weitere werkzeugseitige Einflussfaktoren hinsichtlich des Schnittergebnisses zu berücksichtigen sind. Für den Fall solch multidimensionaler Problemstellungen haben sich in den vergangenen Jahren vermehrt datengetriebene Modellierungsansätze des maschinellen Lernens (ML) durchgesetzt. Die Eignung maschineller Lernverfahren für den technologischen Anwendungsbereich des Scherschneidens wurde bislang allerdings nur für spezifische Teilproblemstellungen des Normal- und Feinschneidens nachgewiesen. Diesbezüglich wurden in der Vergangenheit insbesondere Verschleißproblematiken, seltener jedoch qualitätsbezogene Auslegungskriterien für Scherschneidwerkzeuge betrachtet. Die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit adressiert die Entwicklung solch datenbasierter Auslegungsmodelle für das Verfahrensprinzip des Hohlschneidens. Eine ausschließlich experimentelle Erprobung unter Praxisbedingungen erschien aufgrund des dafür benötigten Versuchsumfangs als unrealistisch. Die Methode der Surrogat-Modellierung konnte vor diesem Hintergrund als geeigneter Lösungsansatz identifiziert werden. Der grundsätzliche Gedanke hinter der Entwicklung von Surrogat-Modellen besteht darin, auf Basis von Simulationsergebnissen interpolierende bzw. approximierende Ausgleichsfunktionen zur Vorhersage von Zielkenngrößen für einen vorabdefinierten Bereich statistisch verteilter Eingabemerkmale zu ermitteln. Die Ausführungen der vorliegenden Arbeit zeigen, dass höherdimensionale Wirkzusammenhänge zwischen Halbzeug-, Werkzeug- und Schnittflächenparametern des Hohlschneidens von maschinellen Lernalgorithmen auf Grundlage numerischer Daten erlernt und quantifiziert werden können. Unter Verwendung so angelernter ML-Modelle, Methoden der erklärbaren Künstlichen Intelligenz sowie einer differenzierten Betrachtung des in der Scherzone vorherrschenden Spannungszustandes konnte neues explizites und experimentell validierbares Prozesswissen für das Verfahrensprinzip des Hohlschneidens generiert werden. Unter Berücksichtigung dieses so hergeleiteten Prozesswissens ist eine signifikante Verbesserung von Schnittflächenqualitätskenngrößen gegenüber dem Referenzzustand des Normalschneidens gelungen. Die vorliegende Arbeit präsentiert somit eine neuartige systematische Vorgehensweise für die Auslegung und Optimierung einhubiger Scherschneidprozesse.